Revierreport Venedig: Sightsailing in Venedigs Lagunen | YACHT

Sightsailing in Venedigs Lagunen

Jan Jepsen · 16.07.2022Revierreport Venedig: Sightsailing in Venedigs Lagunen

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Voraus der Hafen von San Giorgio. Nirgends liegt man charmanter und näher dran am Zentrum Venedigs

Die Lagunenstadt samt ihren kleinen und größeren Nachbarinseln zählt zu den Traumzielen der nördlichen Adria. Sie mit dem Boot zu erkunden ist eines der aufregendsten Erlebnisse, die man sich als Segler wünschen kann

  Eingangs des Canal Grande residiert an der alten Zollstelle ein Kunstmuseum. Dahinter die runde Kuppel einer Kirche

Foto: Jan Jepsen

Eingangs des Canal Grande residiert an der alten Zollstelle ein Kunstmuseum. Dahinter die runde Kuppel einer Kirche

„Derart viel Boots­verkehr wie vor dem Markusplatz gibt es wohl kein zweites Mal auf der Welt“

  Was wäre Venedig ohne seine Gondeln! Dass die ranken Gefährte durchaus auch als Sportgerät taugen, beweisen diese beiden Athleten

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Was wäre Venedig ohne seine Gondeln! Dass die ranken Gefährte durchaus auch als Sportgerät taugen, beweisen diese beiden Athleten

Bei ablandigem Wind und flacher See segeln wir die endlose Feriensiedlung von Jesolo ab. Zwischen Festlandküste und Lido kommt schließlich die neueste und teuerste Betonanlage der Region in Sicht: der „Pop-up-Deich“, wie der „Spiegel“ titelte. Das milliardenschwere Wasserbollwerk namens „Mose“ soll künftigen Hochwassern Einhalt gebieten. Zuletzt war Venedig 2019 überflutet worden, die Schäden immens. Die skandal­trächtige Wehranlage ist inzwischen an den drei Durchlässen zur Lagune in Betrieb.

Mit auflaufendem Wasser wird das Boot Richtung Venedig geschoben. Je näher man sich dabei auf dem Königsweg dem Markusplatz nähert, desto kabbeliger wird die See. Vaporetti, Wassertaxen, Autofähren, Lastenkähne – angesichts der Vielzahl an Schiffen behält man kaum den Überblick. Für jemanden, der seglerisch auf der Elbe sozialisiert wurde, erinnert das an den Hamburger Hafengeburtstag. Mit dem Unterschied, dass hier an 365 Tagen im Jahr solch ein Betrieb herrscht.

Der Mitsegler aus Berlin fühlt sich angesichts dieses maritimen Ausnahmezustands als menschliches Radar überfordert. Schwer vorstellbar, dass es irgendwo auf der Welt eine größere Schiffsdichte als unmittelbar vor dem Markusplatz gibt. Und dabei sind die ganzen Gondeln noch gar nicht mit eingerechnet. Wenigstens müssen die Kreuzfahrtschiffe neuerdings draußen bleiben.

„Angeblich, um auch im trunkenen Zustand heimzufinden, malten die Einwohner Buranos ihre Häuser farbig an“

Theoretisch dürfte man hier sogar segeln, praktisch müsste man dann in Nähe des Dogenpalastes allerdings den Motor mitlaufen lassen. Fraglich jedoch, ob es an Bord einen schwarzen Kegel gibt, den man setzen könnte. Das scheint mindestens so unwahrscheinlich wie eine italienische Wasserpolizei, die sich bei dieser Aqua-Anarchie ernsthaft darum scherte. Darauf wetten wollen wir dann aber doch nicht.

Nach einer Stunde zwischen Markusplatz und der gegenüberliegenden Insel San Giorgio steuern wir die Marina auf Certosa an, die wie eine Parallelwelt wirkt: eine Oase der Ruhe! Inmitten von Vogelgezwitscher. Nur eine Vaporetto-Station vom „Festland“ entfernt.

In der Marina wird heftig investiert und modernisiert: sanitäre Anlagen wie im Hilton oder Ritz und eine schicke Lounge Bar mit Blick auf die gegenüberliegenden Marinas. Die Liegepreise sind in der Lagune überall ähnlich, beinah wie heimlich abgesprochen. Lediglich der Cappuccino-Durst der Crew wird vom happigen Hipness-Aufschlag auf Certosa gezügelt. Zum Essen setzt man vielleicht besser mit der Fähre über und lässt sich anschließend vom noblen Taxiboot der Venezia Certosa Marina wieder abholen. Das hat was. Einen Hauch von Grandezza nämlich. Noch dazu gratis. Schade, dass die Passage zurück zur Insel so kurz ist.

Nächster Tag, neues Ziel. Kurs Burano. Die Angst, vor lauter Pfählen das Fahrwasser nicht zu finden, hat sich spätestens nach zwei Tagen erledigt. Erstens kann man sich an den einheimischen Schiffen orientieren. Und zweitens: Von den drei Holzpfählen, aus denen die Dalben für die Fahrwasser bestehen, ragt an Abzweigungen ein dritter, längerer Pfahl oben aus dem Gebinde. Meistens mit Geschwin­digkeitsschild versehen. Alles, was es dann noch zu beachten gilt: dass die Nummerierung der Dalben für den Steuermann gut sichtbar ist.  Noch gibt es sie, die Gondelbauer von Venedig. In seiner kleinen Werk­statt verleiht einer von ihnen einem alten Riemen neuen Schliff

Foto: Jan Jepsen

Noch gibt es sie, die Gondelbauer von Venedig. In seiner kleinen Werk­statt verleiht einer von ihnen einem alten Riemen neuen Schliff

Wer meint, trotz verführerisch offener Seeflächen eine Abkürzung nehmen zu können, hat selbst Schuld und sollte mindestens eine Tide Verspätung einkalkulieren. Wie etwa einige Hausbootfahrer, denen wir begegnen und deren nautische Kenntnisse den Anforderungen in der Lagune offenbar nicht gewachsen sind. Nur gut, dass die im Urlaub sind und es nicht eilig haben.

Burano selbst hat keine Marina. Wir machen daher an den Gastpfählen des „Venissa“ auf der Nachbarinsel Mazzorbo fest. Das ist ein Weingut mit gehobener Gastronomie. Die beiden Inseln sind mit einer Brücke verbunden. Von dort kann man das psychedelisch bunte Burano bestens erwandern.

Die Insellegende geht übrigens so: Angeblich waren die Bewohner Buranos dem Alkohol derart zugetan, dass sie oft nicht den Weg nach Hause fanden. Die grellen Farben der Häuser sollten Hilfestellung leisten, ins eigene Bett zu finden. Inzwischen ist das wohl eher ein Marketing-Gag. Oder Ayurveda für die Augen: bunt, bunter, am buntesten. Um buchstäblich neben Venedig bestehen zu können.

Tagsüber ist Burano ein beliebtes Ausflugsziel. Tendenz: zu beliebt. Auf eigenem Kiel kommt man daher besser erst abends und verholt sich bis dahin eine Laguneninsel weiter nach Torcello – ein ehemaliger Bischofssitz. Im 10. Jahrhundert hatte die Insel zwischen 10.000 und 20.000 Einwohner und war größer und reicher als Venedig. Was dann auch den mächtigen Dom auf der kleinen Insel erklärt.  Bunt, bunter, Burano. Dank seiner Farbenpracht setzt sich die kleine Insel deutlich von den Nachbarn ab

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Bunt, bunter, Burano. Dank seiner Farbenpracht setzt sich die kleine Insel deutlich von den Nachbarn ab

Unmittelbar neben dem imposanten Gotteshaus gibt es ein paar Boxen, in denen man festmachen kann. Da wir das einzige Schiff sind, legen wir uns vorsichtshalber vor Kopf an die Steganlage, um nicht unfreiwillig über Nacht zu bleiben, selbst wenn der Liegeplatz selten hübsch ist. Leider haben von der Handvoll Restaurants auf der Insel in der Vorsaison noch alle geschlossen.

Also weiter mit dem Eiland-Hopping und auf zur Isola di Sant’Erasmo. Diese große und grüne Insel war schon zur Zeit des Dogen der Gemüsegarten Venedigs. Der Crew verspricht sie die Aussicht auf eine ungewöhnliche Pizza aus einem mobilen Holzofen.

Für die letzten Meilen müssen wir den Motor bemühen, um es noch rechtzeitig zu schaffen. Denn schon um 20 Uhr soll Ladenschluss sein. Äußerst ungewöhnlich für Italien. Also schnell an der Kaimauer festgemacht und im Dauerlauf die letzten Meter zur „Pizza Ovunque“ bewältigt, was so viel wie „Pizza überall“ heißt, aber nicht ganz stimmt. Der mobile Pizzabäcker wurde mit seinem auf einem dreirädrigen Motorroller montierten Holzofen von Certosa vertrieben. Man wollte dort keine Konkurrenz in Form einer fahrbaren Futter­krippe. Nun hat er sich mit seiner Ape eine Insel weiter niedergelassen. Auf einem Feld neben einem Kanal. Ein echtes Erlebnis: Selten hat man so charmant Pizza gegessen. Nur die Mücken, die ebenfalls Hunger haben, nerven ein wenig.  Das Revier

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Das Revier

Nachdem die letzten Jugendlichen ihr Adre­nalin in Motorbootrennen abgefahren haben und das letzte Vaporetto durch ist, kehrt Frieden auf dem Kanal bei Sant’Erasmo ein. Gegenüber am Dalben ein einziger Nachtangler. In den Bäumen ein Käuzchen. Über einem das Firmament. Und in einem: vollkommene Zufriedenheit und eine wirklich gute Pizza.

Am nächsten Morgen ersetzt die Ebbe den Wecker, bevor es an der Mauer zu flach wird. Mit Sonnenaufgang segelt die „Black Bird“ Richtung Markusplatz. Vor der Rushhour. Unter Segeln erregt das Boot sogar in der Lagune Aufmerksamkeit. Oder liegt es daran, dass in den Fahrwassern per se selten gesegelt wird? Selbst der ein oder andere Vaporetto-Kapitän winkt anerkennend und wohlgesonnen. Keine Spur von Genervtheit, dass wir uns im Fahrwasser zu breit machen wür­den. Unser Ziel ist diesmal die Marina auf San Giorgio. Vis-à-vis vom Dogenpalast. Aufregender kann man in Venedig nicht liegen. Das gleicht eher einem Logen- denn Liegeplatz. Und zwar am Fuß eines gigantischen Kirch­turms, der selbst die Masten der größten Yachten noch deutlich überragt.

Nach den Naturerlebnissen steht heute Kultur an. Und zwar großartige. In Venedig ist dieses Jahr Kunst-Biennale. Die berühmten Pavillons in den Giardini dienen als Ausstellungsräume. Das sollte man nicht verpassen. Sogar wenn Venedig schon selbst an Attraktionen mehr als genug zu bieten hat.

Am vierten Tag brechen wir schließlich gen Süden auf. Kurs Pellestrina und Chioggia. Es ist Samstag, das Wasser läuft auf, unschwer an der frischeren Farbe zu erkennen. Vor der verlassenen Insel Poveglia liegen etliche Boote. Der Ankerplatz gleicht einem befahrbaren Freibad. Ideal für einen Badestopp, noch dazu vor beeindruckender Kulisse.

Poveglia ist eine ehemalige Quarantänestation und Lazarettinsel. 1803 brach in spanischen Gebieten das Gelbfieber aus. Nur Venedig wagte es, seinen Hafen für die spanischen Schiffe offen zu halten. Die Quarantäne erfolgte auf Poveglia.

Lang und schmal liegt Pellestrina als letzte größere Insel im Süden. Vorn die Adria, auf der Rückseite die Lagune. Bei Chioggia entlässt uns das gigantische „Mose“-Wehr zurück auf die offene See.

Reviertipps

  Marina San Giorgio Die wohl spektakulärste Marina in erster Reihe am Fuße des imposanten Glockenturms der Insel und vis-à-vis vom Markusplatz. Dank der Schiffsgröße sind die Liegegebühren erträglich; in allen Marinas lagen sie bei rund 50 Euro die Nacht. Je nach Windrichtung und Liegeplatz ist es allerdings etwas kabbelig im schmalen Hafen. Aber: Nur eine Station mit dem Vaporetto, und man ist mitten im Zentrum Venedigs!

Foto: Jan Jepsen

Marina San Giorgio: Die wohl spektakulärste Marina in erster Reihe am Fuße des imposanten Glockenturms der Insel und vis-à-vis vom Markusplatz. Dank der Schiffsgröße sind die Liegegebühren erträglich; in allen Marinas lagen sie bei rund 50 Euro die Nacht. Je nach Windrichtung und Liegeplatz ist es allerdings etwas kabbelig im schmalen Hafen. Aber: Nur eine Station mit dem Vaporetto, und man ist mitten im Zentrum Venedigs!  Sant’Erasmo An der Nordwestecke im Kanal unweit des Fähranlegers vor 20 Uhr festmachen. Vorsicht, bei Ebbe könnte es mit dem Tiefgang knapp werden. Rund 100 Meter inseleinwärts steht die Holz­ofenpizza auf drei Rädern. Auf dem Holzstapel Platz nehmen und eine nea­politanische Köstlichkeit genießen – oder mit an Bord nehmen

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Sant’Erasmo: An der Nordwestecke im Kanal unweit des Fähranlegers vor 20 Uhr festmachen. Vorsicht, bei Ebbe könnte es mit dem Tiefgang knapp werden. Rund 100 Meter inseleinwärts steht die Holz­ofenpizza auf drei Rädern. Auf dem Holzstapel Platz nehmen und eine nea­politanische Köstlichkeit genießen – oder mit an Bord nehmen  Torcello In der nördlichen Lagune nehmen Fährverkehr und Schiffsdichte ab. Vor dem Dom gibt es ein paar Liegeplätze, die im Sommer gern von Hausbooten belegt sind. In der Nebensaison war es kein Problem, längsseits zu gehen. Auf der Insel gibt es die "Locanda Cipriani" vom Betreiber der berühmten "Harry’s Bar" in Venedig: gut, aber teuer

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Torcello: In der nördlichen Lagune nehmen Fährverkehr und Schiffsdichte ab. Vor dem Dom gibt es ein paar Liegeplätze, die im Sommer gern von Hausbooten belegt sind. In der Nebensaison war es kein Problem, längsseits zu gehen. Auf der Insel gibt es die „Locanda Cipriani“ vom Betreiber der berühmten „Harry’s Bar“ in Venedig: gut, aber teuer  Ankerplatz Isola Poveglia Vom Canale di Santo Spirito gen Süden liegt diese verwunschene Insel an Steuerbord. Vor ihrem Westufer ankern am Wochenende etliche Boote, da ruhige Ankerplätze in der Lagune ansonsten eher rar sind. Wer will, kann die Insel per Dingi anlaufen

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Ankerplatz Isola Poveglia: Vom Canale di Santo Spirito gen Süden liegt diese verwunschene Insel an Steuerbord. Vor ihrem Westufer ankern am Wochenende etliche Boote, da ruhige Ankerplätze in der Lagune ansonsten eher rar sind. Wer will, kann die Insel per Dingi anlaufen  Venezia Certosa Marina Auf der gleichnamigen Insel Certosa empfiehlt sich dieser Hafen für alle, die es etwas grüner mögen. Die Umgebung hat was von Naherholungsgebiet. Das Vogel­gezwitscher ist lauter als der rege Schiffsverkehr in der Lagune. In den letzten Jahren wurde viel investiert. Unter anderem in noble sanitäre Einrichtungen. Gute, aber hochpreisige Gastronomie findet sich gleich vor Ort. Nachts wird man auf Wunsch vom Taxiboot aus Venedig abgeholt

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Venezia Certosa Marina: Auf der gleichnamigen Insel Certosa empfiehlt sich dieser Hafen für alle, die es etwas grüner mögen. Die Umgebung hat was von Naherholungsgebiet. Das Vogel­gezwitscher ist lauter als der rege Schiffsverkehr in der Lagune. In den letzten Jahren wurde viel investiert. Unter anderem in noble sanitäre Einrichtungen. Gute, aber hochpreisige Gastronomie findet sich gleich vor Ort. Nachts wird man auf Wunsch vom Taxiboot aus Venedig abgeholt

Navigation und Seemannschaft

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Wenn man sich einmal mit den Dalben vertraut gemacht hat, ist Venedig so sicher zu befahren wie ein Verkehrskindergarten. Essenziell ist, dass man sich an die Fahrwasser hält, sie nicht mittig beansprucht oder versucht, groß aufzukreuzen. Bei halben bis raumen Winden kann überall gesegelt werden. Nur vor dem Markusplatz muss der Motor mitlaufen. Bei Nebel wird vom Auslaufen dringend abgeraten. Der Schlag über die Adria bietet sich ab Umag im nördlichen Kroatien an, wo man auch aus- und einklarieren kann. Für den Törn nach Venedig sollte man sich ab Pula oder Medulin zwei bis drei Tage Zeit nehmen. In einer Woche ist die Tour praktisch nicht zu schaffen, es sei denn, man wollte nur einen Tag in der Lagune verbringen. Oder aber man plant am Ende einen langen Nachttörn zurück zum Einklarieren in Pula ein.

Wind und Wetter

Die Lagune ist ein geschütztes Revier, Seegang wird vornehmlich vom Schiffsverkehr erzeugt. Der typische Schönwetterwind ist der sommerliche Maestrale aus West bis Nordwest. Er setzt vormittags ein und steigert sich auf bis zu fünf Windstärken am frühen Nachmittag. Unangenehm ist die Bora, die aus Nordost von den Bergen über die Lagune und Venetien herfällt. Ihre Einfallschneise liegt bei Triest. Niederschlag bringt meist der Scirocco, in Kroatien Jugo genannt, der sich aus Süden kommend auf seinem Weg über das Meer mit Feuchtigkeit anreichert und dann bis zu drei Tage lang schlechtes Wetter und Regen bringt. Im Frühjahr und Herbst ist es zudem häufig neblig.

Literatur

Foto: Edition Maritim

„Lagunen von Venedig bis Grado“ von Heinrich Breidenbach, Edition Maritim, 29,90 Euro.

Für den Landgang: „Venedig“ vom Lonely Planet Verlag, 19,95 Euro